Die großen deutschen Ausgrabungen im Nahen Osten kamen im Vergleich mit den britischen, französischen und amerikanischen Grabungen erst spät zustande. In einer Vorexpedition sollte 1897/98 in Mesopotamien erstmals ein geeigneter Ausgrabungsort für deutsche Ausgrabungen gefunden werden.
Nach Empfehlung von Robert Koldewey als Mitglied dieser Expedition entschied sich die Generalverwaltung der Königlichen Museen zu Berlin zusammen mit der Deutschen Orient-Gesellschaft für die Ruinen von Babylon. Nachdem die türkische Erlaubnis vorlag – Babylon lag damals noch im Gebiet des Osmainschen Reiches – wurde der Bauforscher Robert Koldewey als Ausgrabungsleiter bestimmt. Am Ende sollten die Grabungen in Babylon unter seiner Leitung – abgesehen von zwei kürzeren Unterbrechungen – 18 Jahre andauern, von 1899 bis 1917.
R. Koldewey wurde in Babylon von verschiedenen Archäologen und Architekten unterstützt, die teils mehrere Jahre Mitglied des Grabungsteams blieben und von denen einige später eigene Grabungen leiten sollten, z.B. Walther Andrae in Assur oder Julius Jordan in Uruk. Im Schnitt waren jeweils zwei bis drei Assistenten zeitgleich vor Ort und unter ihrer Anleitung zwischen 200 und 250 einheimische Grabungsarbeiter beschäftigt. Mit Ausnahme von Feiertagen oder wenn das Wetter Arbeiten im Feld verhinderte, wurde die 18 Jahre hindurch ganzjährig an sechs Tagen in der Woche in Babylon gearbeitet. Dadurch konnten alle Ruinenhügel im Gebiet von Babylon sondiert, teils sogar großflächiger untersucht werden.
Ausgrabungen am Ischtar-Tor um 1900, in der Mitte die Schienen der Feldbahn (© SMB-VAM, Foto-Archiv VAM).
Die Grabungen fokussierten sich abwechselnd auf interessante Einzelstrukturen (Palästen, Mauern, Toren oder Tempeln) und auf stadtplanerische Fragen (Gesamtfläche, Straßennetzen, Quartieren). Am Ende lag ein umfassendes Bild der neubabylonischen Schichten Babylons und ein Bild der Stadt aus der Mitte des 1. Jt.s v. Chr. vor. An einigen Stellen konnten aber auch Einblicke in jüngere Bauschichten bis zur Seleukidenzeit bzw. ältere bis zurück in die altbabylonische Zeit im 2. Jahrtausend v. Chr. gewonnen werden.
Aber auch die methodischen Erkenntnisse aus dieser Pioniergrabung waren wegweisend für die Vorderasiatische Archäologie und Bauforschung. Noch heute gelten die Grabungen in Babylon bezüglich Strategie, Organisation, Methodik, Dokumentation und Verständnis der Baumaterie als vorbildlich und Grundstein für die späteren deutschen Grabungen im Nahen Osten.
Das Expeditionshaus der deutschen Grabung in Babylon lag im Dorf Kweiresch, nordwestlich der Ruinenstätte am östlichen Euphrat-Ufer. Hier wohnte, lebte, arbeitete, forschte man und hier wurden auch die meisten der Funde gelagert. Hier verfasste man die Berichte für Berlin und auch die ersten monographischen Grabungspublikationen wurden von hier aus auf den Weg gebracht. In 19015 fand eine noch eine kleinere Fundteilung zwischen Berlin und Istanbul statt. Nach dem kriegsbedingten Ende der Grabungen in 1917 mussten sämtliche Grabungsfunde im Haus zurückgelassen werden, bis sie 1926 abtransportiert werden konnten und – nach der Neugründung des Staates Irak – nunmehr zwischen den Sammlungen in Bagdad und Berlin aufgeteilt wurden. Die für Berlin bestimmten Funde kamen 1927 am Vorderasiatischen Museum an und sind Grundlage der dortigen Babylon-Sammlung.
Quelle: Olof Pedersén, Archive und Bibliotheken in Babylon, 2005, 2–7)